Editorial
Editorial SGST Programm 2025/2026
Sicherheit?! – Handwerkszeug für unsichere Zeiten
Krisen gehörten schon immer zum Leben – individuell wie kollektiv. Aktuell scheinen sie für uns in Europa wieder näher gerückt: Kriege in Gaza und der Ukraine, die Corona-Pandemie, der Klimawandel. Sie prägen den verunsichernden Alltag vieler Menschen.
Krisen sind Situationen, die nicht mehr im gewohnten Modus bearbeitet werden können. Routinen greifen nicht, vertraute Strukturen geraten ins Wanken. Oft verdichten sie sich zur Zuspitzung eines Themas, das lange unterschwellig vorhanden war. Antonio Gramsci beschrieb Krisen als Interregnum: eine Zwischenzeit, in der „das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann“. Solche Zwischenzeiten produzieren Unsicherheit. Sie zeigen, dass alte Wahrheiten nicht ewig gelten, und fordern dazu auf, Muster zu hinterfragen und neue Wege zu erproben.
Hier liegt die Stärke des systemischen Ansatzes: Sein Wesenskern ist transformativer Natur. Er gibt keine fertigen Antworten, die vordergründig beruhigen, sondern bietet eine Haltung und Werkzeuge, um sich in einer hochkomplexen, volatilen Welt zu bewegen. Er lädt ein, Beziehungen neu zu deuten, Wechselwirkungen zu ergründen, Perspektiven zu erweitern, Ressourcen einzubeziehen und gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln – stets im Kontext von Zeitgeist, Entwicklungsgeschichte und Kultur. Damit bildet er einen Gegenpol zu vereinfachenden Versprechungen, die vermeintliche Sicherheit bieten.
Auch wir im Institut vollziehen eine Transformation: Ab Herbst 2026 bieten wir eine zusätzliche zweijährige Basis-Ausbildung „Systemischer Beraterin“ an. Darauf aufbauend öffnen sich weitere Wege – etwa in Systemischer Therapie, Paartherapie oder Supervision, bei uns oder anderen Instituten der Systemischen Gesellschaft.
Und schließlich: Krisen lassen sich leichter in Gemeinschaften bewältigen. Sie geben Halt, Orientierung und Zugehörigkeit. Unsere eigene SGST seit 38 Jahren und die große systemische Community mit über 17.000 Mitgliedern in SG und DGSF bieten genau das – ein starkes Kollektiv in unsicheren Zeiten.
Nachruf auf Jerzy Jakubowski
Unser Editorial war geschrieben und das vorliegende Programmheft in der Endredaktion. Alles schien seinen vermeintlich selbstverständlichen Lauf zu nehmen, „business as usual“, als uns aus dem Nichts heraus die schockierende Nachricht über den Tod von Jerzy Jakubowski erreichte. „Unser“ Jerzy, der gefühlt unsterblich schien, war plötzlich an einem Herzstillstand gestorben. Keine Chance auf Verabschiedung, geschweige denn Vorbereitung. Er stand mit 84 Jahren noch Mitten im Leben und trotzte der Corona-Pandemie gerade mit seinen Online-Formaten so flexibel und innovativ, wie man es einem Mann seines Alters nie zutrauen würde. Einfach bewundernswert! Jerzy war auch nach all den Jahren systemischen Arbeitens nie müde geworden, diesen Ansatz immer wieder neu zu erfinden. Er begeisterte die Teilnehmer*innen seiner Seminare nicht nur mit den gelehrten Inhalten, sondern vor allem mit seiner Persönlichkeit. Mit der natürlichen Autorität eines Lehrtherapeuten und Menschen, der sich nicht in den Vordergrund spielen muss und keine Allüren nötig hat.
Immer noch sehr berührt von seinem Tod mischt sich in unsere Trauer eine Dankbarkeit, ihn erlebt haben zu dürfen. Vieles von ihm, dürfen wir uns zum Vorbild nehmen und bewahren. Insbesondere seine Leidenschaft für Lösungen und Schaffenskraft. Ebenso seine unkonventionelle, positive und vor allem durch Gelassenheit geprägte Haltung durch´s Leben zu gehen. Dieses Leben ist nun zu Ende gegangen und wir Lehrtherapeut*innen der SGST werden ihn sehr vermissen. Für uns ist der Gedanke tröstlich, dass er dem folgenden Zitat in Bezug auf sein eigenes Leben vermutlich mit einem verschmitzten Lächeln zugestimmt hätte:
„Man lebt nur einmal, aber wenn man es richtig macht, dann reicht es auch!“
(Verfasser unbekannt)
Christian Roland